Önder Balkaya

10+1 Bäume für die Opfer des NSU und als Zeichen gegen Rassismus

In seiner letzten Sitzung am 09.03.2023 hat der Rat der Stadt Leichlingen den Antrag des Integrationsrats „10+1 Bäume für die Opfer des NSU“ einstimmig beschlossen.

Was wurde Beschlossen?

Der Rat der Blütenstadt Leichlingen (Rheinland) beschließt die Teilnahme der Stadt Leichlingen an der Kampagne „10+1 Bäume für die Opfer des NSU (Nationalsozialistischer Untergrund)“ gemäß dem beigefügten Konzeptvorschlag des Integrationsrates der Stadt Leichlingen mit dem Standort der Variante 1 – Alter Stadtpark mit Einbeziehung des Busbahnhofes.

Mit der Pflanzung von zehn Bäumen für die Opfer des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) sowie von einem symbolischen Baum für alle Opfer rechtsextremistischer Taten setzen die Stadt Leichlingen und der Integrationsrat der Stadt Leichlingen gemeinsam ein deutliches und sichtbares Zeichen gegen Rassismus und rechtsextremen Terror.

Welche Kosten entstehen für die Pflanzung und Pflege der 11 Bäume?

Durch den Antrag des Integrationsrates entstehen der Stadt keine zusätzliche Kosten für die Pflanzung  und Pflege der 11 Bäume, da diese bereits im Rahmen der inHK – Umgestaltung des Stadtparks mit eingeplant waren bzw. sind. 

Im Bild Grün Markiert: Neupflanzung von 43 Bäumen, davon sind 11 Blau umrandet.

Ein mühsamer Weg zum Erfolg: Wie sich Ausdauer und Anstrengung ausgezahlt haben

Am 27.09.2021 habe ich im Integrationsrat den Antrag gestellt, dass sich die Stadt Leichlingen am Programm des Landesintegrationsrates „10+1 Bäume für die Opfer des NSU“ beteiligt. Dieser Antrag wurde auf die nächste Sitzung verschoben.

Am 25.10.2021 wurde der Antrag erneut im Integrationsrat behandelt und einstimmig mit ein paar Enthaltungen beschlossen.

Am 29.09.2022 wurde der Antrag schließlich im Rat behandelt. Die Verwaltung hatte einen Beschlussvorschlag erarbeitet, der jedoch nicht mit dem Integrationsrat besprochen worden war. Nach kurzer Diskussion einigte sich der Rat der Blütenstadt Leichlingen darauf, den Integrationsrat aufzufordern, ein entsprechendes Konzept vorzulegen.

Am 24.10.2022 wurde der Antrag erneut im Integrationsrat behandelt und einstimmig mit ein paar Enthaltungen beschlossen. Der Integrationsrat beschloss, den von der Verwaltung vorgeschlagenen Varianten die Variante 1 (Alter Stadtpark mit Einbeziehung des Busbahnhofes) zu wählen. Die Einweihung sollte im Rahmen der Einweihung des Alten Stadtparks stattfinden. Es wurden auch Pläne für die Gestaltung von Gedenktafeln und „10+1“ Schildern gemacht.

Am 28.11.2022 wurde der Antrag erneut im Rat behandelt. Der Rat beschloss, dass der Integrationsrat dem Rat ein entsprechendes Konzept vorlegen solle.

Am 09.03.2023 wurde schließlich der Antrag im Rat behandelt und beschlossen. Der Rat der Blütenstadt Leichlingen (Rheinland) beschließt die Teilnahme der Stadt Leichlingen am Programm des Landesintegrationsrates „10+1 Bäume für die Opfer des NSU“. Die Umsetzung erfolgt in Absprache mit dem Integrationsrat und unter Einbeziehung der von diesem erarbeiteten Konzepte.

„10+1 Bäume für die Opfer des NSU“ und die Opfer von Hanau

Die Ereignisse in Hanau sind eine Zäsur in der bundesrepublikanischen Geschichte. Der Anschlag auf
neun Menschen mit Einwanderungsgeschichte, zeigt einmal mehr, die rechtsextremistische Gefährdungslage. Das
umfassende Staatsversagen im NSUVerfahren hat maßgeblich zu dieser Entwicklung beigetragen. Eine lebendige
und aufrichtige Erinnerungskultur kann einen Beitrag zur Überwindung dieser Ereignisse leisten.

„Als Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland verspreche ich Ihnen: Wir tun alles, um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken und alle Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Daran arbeiten alle zuständigen Behörden in Bund und Ländern mit Hochdruck. Das ist wichtig genug, es würde aber noch nicht reichen. Denn es geht auch darum, alles in den Möglichkeiten unseres Rechtsstaates Stehende zu tun, damit sich so etwas nie wiederholen kann.“
Mit der Kampagne „10+1 Bäume für die Opfer des NSU“ und die Opfer von Hanau ruft der Landesintegrationsrat NRW die Integrationsräte dazu auf, sich in ihren Kommunen für ein vielfältiges, friedliches und gleichberechtigtes Zusammenleben einzusetzen. Dabei sollen die Kommunen gebeten werden, einen Erinnerungsort zu errichten, der aus elf neu angepflanzten Bäumen besteht. Die Zahl elf ergibt sich aus zehn Bäumen für die zehn Opfer des NSU, den einen Baum widmen wir allen genannten und ungenannten Opfern rassistischer Gewalt. Eine Gedenktafel soll über die Bedeutung des Mahnmals aufklären.
Die elf gepflanzten Bäume verdeutlichen die Dimension dieser Verbrechen visuell. Gleichzeitig soll der Erinnerungsort ein starkes Signal des Widerstands der Kommune gegen den rechtsextremistischen Terror senden.

In jüngster Zeit wurden immer wieder Erinnerungsstätten für die Opfer der Terrorvereinigung Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, Ismail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat, Michèle Kiesewetter geschändet bzw. zerstört. Das Abholzen eines Baumes, der an den Mord an Enver Şimşek erinnern sollte, sorgte bundesweit für Schlagzeilen.

Den Morden, die von der rechtsextremistischen Terrorzelle NSU begangen worden waren, wurde aufgrund rassistischer Denkstrukturen nicht mit lückenloser Aufklärung begegnet. Die Ermittlungsbehörden gingen gar davon aus, dass die Taten nicht von Deutschen verübt worden sein könnten. Vielmehr wurden die Familien der Opfer verdächtigt. Die Polizei ermittelte gegen die Angehörigen der Ermordeten und die Medien verhöhnten die Opfer, indem sie die Taten als „Döner-Morde“ etikettierten. Besonders erschreckend ist, dass der Verfassungsschutz allem Anschein nach über die Verbrechen informiert und teilweise involviert war. Auch die Ermittlungen zu den NSU-Verbrechen ließen viele Fragen über die Hintergründe offen. Insbesondere ignorierte das Gericht die Rolle der rechtsradikalen Netzwerke und ihrer Hintermänner. Im Sommer 2018 erfolgte schließlich die Urteilsverkündung im NSU-Prozess, die weder für Opfer und Hinterbliebene noch für die demokratisch gesinnte Bevölkerung zufriedenstellend ist.

Ein Rückblick auf die gesellschaftliche Entwicklung der letzten Jahrzehnte weist darauf hin, dass wir begünstigende Umstände für die Verbreitung von Rassismus hatten. Dies wird insbesondere im Hinblick auf das Thema Migration deutlich.

Die politische Diskussion der Nachwendezeit wurde von einer nahezu hysterisch geführten Debatte um Flüchtlinge und Einwanderung beherrscht und ging mit einer Welle rassistischer Gewalt in deutschen Städten einher.

Die rassistischen Mordanschläge in Hoyerswerda, Rostock und Mölln wurden seitens der Politik kaum beachtet. Die Ignoranz gegenüber diesen Verbrechen hat der Entwicklung des Rassismus in Deutschland Vorschub geleistet. Der traurige Höhepunkt dieser Ereignisse war der Brandanschlag auf das Wohnhaus von Familie Genç in Solingen, bei dem fünf Menschen ums Leben kamen. Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl weigerte sich, die Hinterbliebenen des Brandanschlages aufzusuchen, mit
dem Hinweis keinen „Beileidstourismus“ betreiben zu wollen. Zum damaligen Zeitpunkt wäre ein klares Bekenntnis, dass die Migrantinnen und Migranten selbstverständlich Teil unserer Gesellschaft sind, dringend notwendig gewesen. Ein politisches Signal, beispielsweise die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft oder des kommunalen Wahlrechts für alle Menschen mit Migrationshintergrund, hätte deutlich zum Ausdruck gebracht, dass Rassismus und Rechtsextremismus in Deutschland keinen Platz mehr haben.

Nicht erst seit dem antisemitisch motivierten Terroranschlag in Halle an der Saale und dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke offenbart sich mehr und mehr die Gefahr rassistischer Denkweisen und rechtsextremen Terrors. Menschenverachtende Hetze verbreitet sich via Internet, Morddrohungen werden gegen Aktivisten/ innen, Politiker/innen und Opfer- Anwälte und Anwältinnen ausgesprochen. Immer wieder werden Hinweise auf rechtsextremistische Verflechtungen in staatliche Institutionen wie Polizei und Bundeswehr hinein bekannt.

Es ist dringend an der Zeit dieser Entwicklung entgegenzutreten und ein Zeichen zu setzen. Es gilt deutlich Position zu beziehen gegen die Gefahr des rechten Terrors, dessen Akteure immer skrupelloser, und scheinbar von staatlicher Seite ungebremst, agieren.

Wir alle dürfen den Kahlschlag an unseren gemeinsamen menschlichen Werten nicht länger hinnehmen! Alle Kommunen NRWs sind dazu aufgerufen der menschenverachtenden Gefahr durch Pflanzung der 10+1 Bäume zu begegnen.

Die Pflege der Bäume kann durch Patenschaften gesichert werden. Beispielsweise können Schulen, die dem Netzwerk „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ angehören, die Verantwortung für die Betreuung der Bäume übernehmen. Auch Bürgerinitiativen, kommunale Ämter oder Privatpersonen kommen als Paten in Frage.

Die Opfer des NSU

Enver Şimşek
09. September 2000, Nürnberg

Abdurrahim Özüdoğru
13. Juni 2001, Nürnberg

Süleyman Taşköprü
27. Juni 2001, Hamburg

Habil Kılıç
29. August 2001, München

Mehmet Turgut
25. Februar 2004, Rostock

Ismail Yaşar
09. Juni 2005, Nürnberg

Theodoros Boulgarides
15. Juni 2005, München

Mehmet Kubaşık
04. April 2006, Dortmund

Halit Yozgat
06. April 2006, Kassel

Michèle Kiesewetter
25. April 2007, Heilbronn

Wir werden euch nicht vergessen!

„Der Nationalsozialistische Untergrund“

Die rechtsextreme Mordserie des NSU hat weltweit für Entsetzen gesorgt. Wie konnten die Täter sich derart radikalisieren? Warum haben die Sicherheitsbehörden versagt? Und wie groß ist das Netzwerk der Rechtsterroristen tatsächlich? Mehrere Untersuchungsausschüsse und ein Gerichtsprozess sollen Antworten liefern.
Eisenach am 4. November 2011. Als sich Polizisten einem Wohnwagen nähern, in dem sie zwei flüchtige Bankräuber vermuten, fallen zwei Schüsse. In dem brennenden Caravan entdeckt die Polizei schließlich die Leichen der mutmaßlichen Täter, die anscheinend ihr Wohnmobil angezündet und anschließend Selbstmord begangen haben. Bald aber stellt sich heraus, dass man nicht nur zwei Bankräubern, sondern der größten rechtsextremen Mordserie in der Geschichte der Bundesrepublik auf die
Spur gekommen ist. Die Ereignisse werden zum Wendepunkt im Umgang mit rechter Gewalt und der militanten Neonaziszene. Weder der Verfassungsschutz noch ausgewiesene Szenekenner hatten bis dahin derart kaltblütige und gut organisierte Mordanschläge rechter Terroristen in Deutschland für möglich gehalten.

Mehr als 13 Jahre lang haben Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe aus dem Untergrund heraus gemordet, gebombt und mehr als ein Dutzend Banken überfallen. Kurz nach dem Selbstmord ihrer beiden Komplizen zündete Zschäpe das Versteck der Gruppe in Zwickau an und stellte sich wenige Tage später der Polizei. Bald stellten die Ermittler fest: Die blutige Spur der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) zieht sich quer durch die ganze Republik.

Acht türkisch- und ein griechischstämmiger Kleinunternehmer sowie eine Polizistin wurden laut Anklage von dem Trio
erschossen. Doch weder Polizei noch Verfassungsschutz vermuteten hinter den Taten ein rechtsextremes Motiv.
Hunderte Beamte ermittelten jahrelang in die falsche Richtung. Die Ermittler hätten selbst dann noch am vermuteten
Tatmotiv „organisierte Kriminalität“ festgehalten, als „Spur um Spur in diese Richtung ergebnislos blieb“, kritisierte
2013 der NSU-Untersuchungsausschuss. „Die wenigen Merkmale, die tatsächlich alle Opfer gemeinsam haben […] konnten
sie mit keiner bekannten kriminellen Organisation in Konflikt bringen. Nur eine rassistische Tatmotivation traf tatsächlich
auf alle Opfer zu“, lautet das Fazit des Ausschusses.
Im November 2011 hatten die Ermittler in den Trümmern der Zwickauer Wohnung die Tatwaffen entdeckt, außerdem die
Pistole der ermordeten Polizistin. Damit war schlagartig klar geworden, dass hinter den zehn Morden die bis dahin
völlig unbekannte Terrorgruppe stand. Auf der Flucht aus ihrer Zwickauer Wohnung hatte Zschäpe noch an 15 Adressen
ein grausames Bekenner-Video verschickt. Der viertelstündige Film zeigt den menschenverachtenden Hass, der
die Täter antrieb. „Taten statt Worte“ fordern die Neonazis darin. Mit einem Mix von Szenen des Zeichentrickfilms
„Der rosarote Panther“, selbst aufgenommenen Fotos der blutüberströmten Leichen und zynischen Kommentaren
verhöhnten die Terroristen ihre Opfer – und ließen erkennen, dass die Mordserie nach zehn Toten eigentlich noch nicht
hatte beendet sein sollen: Neben den Fotos der Ermordeten blieben weitere Bilderrahmen für zukünftige Opfer frei.

Quelle: Johannes Radke Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz „CC BY-NC-ND 3.0 DE –

Ein Kommentar

  • Joana Lottner

    Hallo Herr Balkaya,

    vielen Dank, dass Sie das Projekt 10+1 Bäume nach Leichlingen bringen und Sie sich so dafür engagiert haben.
    Ich denke, man gar nicht genügend Zeichen gegen Rassismus setzen, den Mund aufmachen, sich diesem entgegen stellen sowie diesen zeigen und entlarven.
    Mit den besten Grüßen
    Joana Lottner
    Joana

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