(K)eine Frage des Gewissens: trotz Krieg und Krisen Karneval feiern?
Angesichts der vielen Krisen der vergangenen Jahre, von der Corona-Pandemie über die Flutkatastrophe im Ahrtal und Leichlingen bis hin zum Krieg in der Ukraine und dem Erdbeben in der Türkei und Syrien, fragen sich viele, ob es wirklich notwendig ist, die tollen Tage so ausgiebig zu feiern, wie es gerade im Rheinland üblich ist. Auch die galoppierenden Lebensmittel- und Energiepreise sorgen für Zurückhaltung angesichts der Ausgaben, die beim Karneval feiern anstehen. Wir sorgen uns um die Menschen, die Tag für Tag mit todbringenden Waffen beschossen werden und um diejenigen, die bei den Erdbeben in Syrien und der Türkei Angehörige und Freunde verloren und kein Dach mehr über dem Kopf haben.
Darf man noch unbeschwert feiern, oder gibt es ein moralisches Verbot für den Genuss von Freiheit, die man nach Corona-Lockdown und mehrmals abgesagtem Straßenkarneval so bitterlich vermisst hat? Sicher ist es sinnvoll, sich über adäquate Hilfe Gedanken zu machen. Auch Raum für Mitleid und Trauer sollte sein. Doch sich nur Sorgen machen und grübeln, bringt letztendlich niemanden weiter. Warum also nicht einfach mal abschalten und sich eine Auszeit gönnen? Neben den vielen Krisen hat uns auch die Rezession mit ihren finanziellen Einschnitten schlaflose Nächte bereitet. Die gravierenden Einschnitte in unsere Lebenswirklichkeit werden wir sicherlich nicht so schnell vergessen, doch trotzdem oder vielleicht gerade deshalb sollten wir auch einmal sorglos sein dürfen und nicht an morgen denken müssen – denn das tun wir bereits oft genug.
Die langersehnte fünfte Jahreszeit wird in den rheinischen Karnevalshochburgen Köln, Düsseldorf, Mainz und Koblenz mit riesiger Freude begrüßt. Ja, nicht nur die Karnevalisten dürfen sich eine Auszeit nehmen, denn die Krisen werden uns auch weiterhin begleiten. Es ist zu befürchten, dass der Krieg in der Ukraine noch Jahre dauern und auch Stellenstreichungen und Rezession nicht von heute auf morgen verschwinden werden. Jedem, der sich ins Getümmel stürzen möchte, tut die Ablenkung im bunten Karnevalstreiben sicher gut. Insbesondere Kinder und Jugendliche sollten es auskosten dürfen, einfach nur Spaß zu haben. Denn nach den wenigen Tagen warten auf einige wieder familiäre Sorgen und Schulstress. Auch den Erwachsenen tut ein Stopp vom Gedankenkarussell gut. Sie können die tollen Tage zum Auftanken nutzen und dank geselliger Kontakte wieder neue Kraft schöpfen. Lachen ist gesund und herzhaft lachen zu dürfen heißt keineswegs, dass man keine Empathie für die Betroffenen von Erdbeben und Krieg hat.
Auch nach den „tollen Tagen“ gibt es genug Gelegenheit, den Erdbeben- und Kriegsopfern Hilfe angedeihen zu lassen, beispielsweise durch Sach- oder Geldspenden. Selbst die kleinste Spende hilft. Die Folgen dieser Krisen, die letztendlich die ganze Welt betreffen, werden uns noch sehr lange begleiten. Gerade um weiterhin Hilfe leisten und Solidarität zeigen zu können, brauchen wir einen langen Atem. Einen Teil der hierfür notwendigen Energie können wir uns an Karneval holen.